Watt Niu?
2020.01.07
From: Frankfurter Allgemeine Zeitung
Schafft er die Heimfahrt? Wohlan, schwingen wir uns auf den Elektroroller chinesischer Provenienz und machen uns auf den Weg. Niu verspricht für sein Modell NQis Civic 80 Kilometer, das klingt nach viel angesichts der 23, die zurückzulegen sind. Die Angabe relativiert sich am Schalter rechter Hand. Jener hat drei Stufen, Gänge mögen wir das nicht nennen: sparsam, normal, Sport. Im ersten reicht der Akku mit 29 Ah Kapazität am weitesten – logisch, aber verbunden mit freudlosen 20 km/h. Im zweiten steigt die Spitzengeschwindigkeit auf Tempo 30, und im dritten geht es richtig sportlich zur Sache: Unwiderstehlich zieht der 2,4 kW starke Elektromotor das weniger als hundert Kilo leichte Gefährt von dannen, um bei 45 km/h deutlich spürbar abzuregeln.
Der Motor wird mit 60 Volt Spannung betrieben, wird er gefordert, zieht er 40 Ampère. Die Heimstrecke führt in den Taunus hinauf, also dürfte der Saft nach einer guten halben Stunde alle sein. Nach dem Anschalten der Zündung passiert erst einmal – nichts. Der Gasgriff hat ein wenig Spiel, dann legt der Niu etwas ruppig los. Der Motor von Bosch sitzt in der Radnabe, von ihm ist absolut nichts zu hören.
Der Fahrer kann zusehen, wie die Akku-Balken schwinden
Bis Kronberg sind es 13 Kilometer über die Landstraße, und es ist noch weitgehend flach, die Batterieanzeige steht immer noch auf 80 Prozent. Denn sobald die Höchstgeschwindigkeit erreicht ist, sinkt der Stromverbrauch in der Ebene auf etwa ein Drittel. Richtung Falkenstein geht es stramm bergauf, ohne dass die Geschwindigkeit wesentlich sinkt. Aber der Fahrer kann zusehen, wie die Akku-Balken schwinden. Mit einer halblegalen Abkürzung durch die Anliegerstraße bleiben nach weiteren sechs Kilometern 63 Prozent, die Angst, den Roller nach Hause schieben zu müssen, war unbegründet.
Das Fahrverhalten ist untadelig. Der Roller liegt wie ein dickes Brett und federt auch so. Die klapperige Sitzbank des ansonsten brauchbar verarbeiteten Niu ist nur 74 Zentimeter hoch. Das erleichtert das Aufsteigen, Fahrer mit Normalgröße werden aber mit angezogenen Beinen darauf kauern. Es gibt einen Stauraum unter der Sitzbank, ein Handschuhfach und hübsche LED-Leuchten.
Was am Vortag bergauf gefahren wurde, geht es am nächsten wieder bergab. Der Motor hat so gut wie keine Bremswirkung, auch in der Ebene nicht. Autohersteller verkaufen das Dahingleiten als „Segeln“, auch im Roller hilft es, Energie zu sparen: ein Stromstoß, dann rollen lassen. Bergab wird er also immer schneller, leichtes Bremsen gibt dem Akku Energie zurück, was an den Balken im Display abzulesen ist. Die Bremswirkung setzt etwas rüde ein, ganz im Gegensatz zu den fein dosierbaren echten Scheibenbremsen. Die Rekuperation tritt nur in Kraft, wenn der Akku weniger als 90 Prozent Ladung anzeigt. Ihre Wirkung hält sich in Grenzen, auf 300 Höhenmetern hinab, verteilt auf drei Kilometer Strecke, ist es uns nicht gelungen, die Akku-Anzeige ins Plus zu heben – wenigstens wurde es nicht weniger. Elf Prozent hat uns laut Anzeige der Rückweg gekostet, ein guter Wert. Im gemischten Verkehr kamen wir 57 Kilometer weit, bis der Niu stehen blieb, auf den letzten 17 (die Anzeige sinkt unter 15 Prozent) schaltet die Elektronik auf Schonbetrieb, und der Roller wird mit 16 km/h zum Verkehrshindernis.
Herrlich ist das Gefühl, mit dem handlichen Niu lautlos durch die Stadt zu düsen. In den Nebenstraßen ist der Niu-Fahrer der König, allerdings springen ihm ständig Fußgänger oder Hunde in den Weg. Für den Kurzstreckenverkehr ist der NQis eine gute Wahl, knapp 3000 Euro sind für den Spaß nicht zu viel.